Raucherlunge – ein Mythos ?

Raucherlunge

In einer Gunther von Hagens Ausstellung fand ich seinerzeit den Vergleich zwischen einer sogenannten normalen Lunge und einem Plastinat, das als Raucherlunge bezeichnet wurde. Schon damals dachte ich insgeheim an die Redewendung „Schuster, bleib‘ bei deinem Leisten“. Denn die normale Lunge war massiv emphysematös – zartrosa, luftkissenartig gebläht und depigmentiert. Die Raucherlunge zeigte streifige anthrakotische Pigmenteinlagerungen, die ja je nach Wohnort mehr oder weniger stark entwickelt sind – also mitnichten stellten sich die präsentierten Präparate als das dar, für das sie „verkauft“ werden. Vor einiger Zeit sah ich schließlich zu später Stunde eine Talkshow im Deutschen TV, wo der Bestsellerautor und Rechtsmediziner Michael Tsokos doch wahrlich behauptete, dass man keine vermehrten Pigmenteinlagerungen in der Lunge von Rauchern erkennen könne. Und wieder dachte ich an das alte Sprichwort mit dem Schuster und seinem Leisten. Man könne, so Tsokos, nicht unterscheiden, ob die Anthrakose einer Lunge durch das Leben an der Autobahn oder das Rauchen entstanden sei. Als letztlich die Tageszeitung der „Standard“ anfragte, habe ich ein Foto aus meiner Vorlesung ausgegraben, um zu zeigen, wie beim Raucher münzförmige Ablagerungen um die Bronchien auffallen. Auf den Standardartikel postete ein Leser, dass im Tabakrauch gar kein Kohlenstoff enthalten sei und deswegen die Lunge nicht schwarz werden könne. Was ist nun Sache ? Wir kennen eine Staubbelastung durch Abriebe (z.B. Bodenerosion, Bremsbeläge, Straßenbelag, Reifen) und Rauch/Rußbildung, z.B. durch Vulkanauswürfe, Brände bzw. Abgase bei Auto, Hausbrand und Industrie. Dieser Feinstaub, der typisch für Asche und Ruß ist, ist kleiner als 10µm und lungengängig bei Partikelgrößen unter 2 µm. Die Schwebestaubarten (Ruß, Staub, Rauch) sind nun für die Lunge von besonderer Bedeutung. Der schwarze Schwebestaub Ruß (10-300nm groß) entsteht im Zigarettenrauch durch unvollständige Verbrennung. Als Merksätze liest man, dass bei 20 Zigaretten in 20 Jahren sich 6 kg Ruß in die Lunge einlagern! Durch Pyrolyse, einer thermisch-chemischen Spaltung der enthaltenen organischen Naturstoffe, entsteht zudem Teer. Bei einer Schachtel Zigaretten, lagert sich nach einem Jahr zirka eine Kaffeetasse Teer ab. Anthrakose ist inert, die Partikel werden „nur“ abgelagert. Silikate führen hingegen zu Granulomen und erzeugen die Staub- oder Farmerlunge. Also von Mythos keine Spur ! Rauch-induzierte COPD und Krebsrisiko sind evidentes Wissen.

Roland Sedivy (* 9. Mai 1963 in Wien) ist ein österreichischer Universitätsprofessor für Pathologie, Medizinrechtsexperte, Autor sowie Lebens- und Sozialberater. Sedivy war von 2007 bis 2016 Leiter der Klinischen Pathologie des Landesklinikums St. Pölten und bis 2019 stv. Chefarzt der Kantonspathologie Münsterlingen (Schweiz). Danach bis 2023 Vorstand des Instituts für Klinische Pathologie, Molekularpathologie und Mikrobiologie der Klinik Favoriten, dem früheren Kaiser Franz Josef-Spital, einem akademischen Lehrkrankenhaus der Medizinischen Universität Wien. Zeitgleich auch Vorstand des Institutes für Pathologie und Mikrobiologie der Klinik Landstraße (früher Rudolfstiftung). Außerdem war er von 2011 bis 2015 Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Klinische Pathologie und Molekularpathologie. Als Universitätsprofessor war Sedivy an der Danube Private University in Krems im Fach Allgemeine Pathologie und Oralpathologie und an der Karl Landsteiner Universität in St. Pölten für Klinische Pathologie tätig. Seit 2019 lehrt Sedivy an der Sigmund Freud PrivatUniversität in Wien und wurde 2023 auf den Lehrstuhl für Klinische Pathologie und Molekularpathologie berufen.