Wahn & Ethik in der Medizin

Der PathoBlogger

„Es besteht keine klare Grenze zwischen Gut und Böse! Jeder von uns kann zu jeder Zeit vom Guten ins Böse schlittern“, sagt Robert J Lifton.

Der US-Psychiater ging dem Widerspruchnach, warum heilende Ärztehände unter bestimmten Umständen in der Lage sind zutöten! Lifton selbst ist Wegbereiter des Psychohistorismus, der den Hintergründen menschlichen Verhaltens in Extremsituationen nachspürte. Er untersuchte die Verstrickungen der Ärzte mit dem Holocaust. Warum werden Heiler Mörder? Welche Beweggründe sind es, die menschliches Verhalten in Extremsituationen ausarten und aus sozialen Engeln perverse Bestien werden lassen?

In Gesprächen mit Tätern und Opfern ging Lifton ebenso der Fragenach, wie es gelang, junge Ärzte durch die Irrlehren des Nationalsozialismus an das Töten Unschuldiger heran zuführen. So trugen nachweislich sozialisierte und benevolente Ärzte zum größten Menschheitsverbrechen der neuen Zeit bei. Im Studium wurden sie zum Heilen ausgebildet, unter den Nazis mit dem Töten vertraut gemacht. Bedrückend ist, wie Lifton zeigte, dass intelligente und wohlsituierte Ärzte mit einer primär nicht hasserfüllten Lebenseinstellung im Rahmen eines diktatorischen Kontextes zu Massenmördern werden.

Nur in totalitären Regimen? Oder existiert eine solche Gefahr nicht auch noch heute? Lifton räumte mit der Illusion auf, dass Gut und Böse in uns klar getrennt sind. DieMotivationen und die Kräfte, die auf jeden einzelnen einwirken, sind Auslöser von tief in unserer Seele verankerten archaischen Reaktionsweisen unseres Reptilienhirns. Der moralisierende Cortex kann seine kulturelle Prägung verlieren–Flucht, Hass und Angst reagieren von da ab. Gott Lob, gibt es heute keine derartige Auswüchse barbarischer Natur!

Lifton sieht dennoch eine permanente Gefahr in der Doppelung von Menschen, die daheim als liebevolle Eltern, im Beruf aber als Täter agieren. Wie sieht es mit dem Keimen eines solchen faustischen Pakts aus–sind diese für immer eradiziert? Ökonomischer Druck durch die Medizinmanager, rauer Umgangston, fehlende Anerkennung, Arbeitsverdichtung auf jeden einzelnen bilden ein Spinnwebengeflecht, das unerbittlich die Psychospirale von Treten und Getreten werden der Dschungelkultur erzeugt. Sind in Mobbing, Zynismus, totalitärem Umgangsstil nicht genauso die Funken dieser verloren geglaubten Dämonen verborgen? Sind nicht schon die Steigerungsstufensichtbar? Verleumdungen, anonyme Briefe und Anzeigen, die der Ärzteschaft widerfahren, sind doch Prodromi einer Radikalisierung? Ist es nicht Zeit dagegen aufzutreten?

Roland Sedivy (* 9. Mai 1963 in Wien) ist ein österreichischer Universitätsprofessor für Pathologie, Medizinrechtsexperte, Autor sowie Lebens- und Sozialberater. Sedivy war von 2007 bis 2016 Leiter der Klinischen Pathologie des Landesklinikums St. Pölten und bis 2019 stv. Chefarzt der Kantonspathologie Münsterlingen (Schweiz). Danach bis 2023 Vorstand des Instituts für Klinische Pathologie, Molekularpathologie und Mikrobiologie der Klinik Favoriten, dem früheren Kaiser Franz Josef-Spital, einem akademischen Lehrkrankenhaus der Medizinischen Universität Wien. Zeitgleich auch Vorstand des Institutes für Pathologie und Mikrobiologie der Klinik Landstraße (früher Rudolfstiftung). Außerdem war er von 2011 bis 2015 Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Klinische Pathologie und Molekularpathologie. Als Universitätsprofessor war Sedivy an der Danube Private University in Krems im Fach Allgemeine Pathologie und Oralpathologie und an der Karl Landsteiner Universität in St. Pölten für Klinische Pathologie tätig. Seit 2019 lehrt Sedivy an der Sigmund Freud PrivatUniversität in Wien und wurde 2023 auf den Lehrstuhl für Klinische Pathologie und Molekularpathologie berufen.