Macht & Terror der Zahl

Der PathoBlogger

Alles–auch der Mensch–ist Zahl, meinte einst Pythagoras von Samos und so mancher Zeitgenosse könnte diesem Aphorismus etwas abgewinnen. Ontologisch sieht Pythagoras die Zahl sogar als den Urgrund alles Existierenden, also als die erhabene platonische Idee oder wie das eigentliche Sein des Daseins Heideggers. Nimmt man die Zahl symbolisch für Messbarkeit und Objektivierung, also als Indikator der Naturwissenschaftlichkeit, steht die Zahl für den modernen Fortschritt und deren Möglichkeit der Quantifizierung. Keine Frage also, dass uns die Zahl so gesehen wichtig und teuer ist. Aber die Zahl ist noch viel mehr! Sie steht ebenso für ein spirituelles Zeichensystem, wo sich das Mysterium Zahl in der kultisch-mythischen Tradition findet. Geometrische Muster spiegeln puritanische Technik und auch theosophische Strömungen wieder.

Ob für Rosenkreuzer oder in der Kabbalah, die Zahl ist auch Magie.

Weniger magisch als deren Lehrer sehen dies vielleicht Schüler oder jene, deren Zahlenverständnis mehr monetär durch ein reduziertes Budget oder durch das gefräßige Zahlenkrokodil des Fiskus bestimmt ist. Die nüchterne Zahl verbirgt sich aber genauso hinter Schöngeistigem wie der Musik, die unsere Seele zu berühren vermag. Zahl und Musik stehen in dieser Hinsicht in Beziehung zueinander: die Unterteilung einer Saite im Verhältnis ganzer Zahlenbringt musikalische Intervalle hervor, die miteinander kombiniert auditive Harmonie vermitteln. Weniger Harmonie bewirkt hingegen die stete Forderung der Administration nach zahlen belegter medizinischer Leistungen, während qualitativ ärztliches Agieren als unökonomisch hinstellt wird. Umgekehrt kann die Zahl der Überstunden die Personalnot darstellen, die Zahl der Abwanderung junger Kollegen in die Nachbarländer die notwendige Zahl an klugen Köpfen illustrieren. Und ganz profan zählen wir die Zahl unserer Urlaubstage in diesen Sommertagen. Letztlich ist auch die Zeit eine Zahl und der Raum die geometrische Manifestation derselben–Leben in Raum und Zeit ist somit Rhythmus und damit wiederum als Zahl abbildbar. Doch ist Geist und Zahl miteinandervereinbar?

Duncan Mac Dougall unternahm 1901 das bizarre Experiment die Seele zu wiegen, während Menschen starben–die angebliche Maßzahl der Seele: 21 Gramm. Es ist als hätte der Mensch einen faustischen Pakt geschlossen–die Dominanz der Zahl als Preis des Fortschritts ?

Mögen unsere Qualitäten wie Gefühl und Menschlichkeit wieder mehr zählen und nicht mehr zur Zahl verkommen.

Roland Sedivy (* 9. Mai 1963 in Wien) ist ein österreichischer Universitätsprofessor für Pathologie, Medizinrechtsexperte, Autor sowie Lebens- und Sozialberater. Sedivy war von 2007 bis 2016 Leiter der Klinischen Pathologie des Landesklinikums St. Pölten und bis 2019 stv. Chefarzt der Kantonspathologie Münsterlingen (Schweiz). Danach bis 2023 Vorstand des Instituts für Klinische Pathologie, Molekularpathologie und Mikrobiologie der Klinik Favoriten, dem früheren Kaiser Franz Josef-Spital, einem akademischen Lehrkrankenhaus der Medizinischen Universität Wien. Zeitgleich auch Vorstand des Institutes für Pathologie und Mikrobiologie der Klinik Landstraße (früher Rudolfstiftung). Außerdem war er von 2011 bis 2015 Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Klinische Pathologie und Molekularpathologie. Als Universitätsprofessor war Sedivy an der Danube Private University in Krems im Fach Allgemeine Pathologie und Oralpathologie und an der Karl Landsteiner Universität in St. Pölten für Klinische Pathologie tätig. Seit 2019 lehrt Sedivy an der Sigmund Freud PrivatUniversität in Wien und wurde 2023 auf den Lehrstuhl für Klinische Pathologie und Molekularpathologie berufen.