Skalpell ade – Virtopsie herbei !?

Der PathoBlogger

Was haben altägyptische Mumien, Ötzi und Jörg Haider gemeinsam?

Nicht nur, dass sie alle tot sind, wurden deren Körper auch ohne Skalpell eröffnet. Ohne einen einzigen Schnitt durch Haut, Muskeln, Organe oder deren Skelett kann mittels CT oder auch MRI ein virtuelles Bild vom Inneren des Körpers erstellt werden. Ein Bild, das in alle Raumrichtungen als 3D-Rekonstruktion gedreht und gewendet werden kann und damit Einblicke in die Leiche gibt, von der der klassische Pathologe noch nicht einmal geträumt hat.

In der Schweiz von einem Österreicher aus der Taufe gehoben, nannte Richard Dirnhofer die radiologischen Einblicke an Toten „Virtopsie“ (eng.:Virtopsy) – ein Kompositum aus virtuell und Autopsie. So wird das Beweisobjekt Leiche mit jederzeit abrufbaren Datensätzen dauerhaft archivierbar. Gerade in Zeiten mit deutlicher Zunahme an Kremationen kann diese postmortale Visualisation für später auftretende rechtsrelevate Fragen von großem Wert sein. Zudem werden Körperregionen einsehbar, deren brachiale Darstellung dem allgemeinen Pietätsgefühl widersprechen würde. So kann man religiös oder moralisch begründeten Ablehnungen einer herkömmlichen Autopsie leichter entsprechen und dennoch den Gesetzesauftrag gerecht werden. Wie die nunmehr Züricher Spezialisten aufdeckten, sind morphologisch nicht auffällige Myokardabschnitte im MRI eindeutig und einfach als ischämisch zu bewerten.

Die Verlegenheitsdiagnose eines unklaren Herzversagens wird so zum inzipienten Myokardinfarkt. Ist die Virtopsie also die Wunderdroge gegen die drastisch fallenden Obduktionsfrequenzen? Das Allheilmittel der Sektionspathologie? Die Antwort liegt in der Mitte. Haptische oder olfaktorische Eindrücke fehlen in der neuen virtuellen Welt der Obduktion, sodass die Beschneidung der menschlichen Wahrnehmung mit einer Reduktion der Erkenntnisfähigkeit einhergeht. Die Lösung ist die Computer-assissted-autopsy. Ein Seziersaal mit 156 Zoll großen Bildschirmen, die die virtuellen Ergebnisse mit der aktuell stattfindenden Obduktion zu einem Amalgam der fachärztlichen Hologrammdiagnose werden läßt. Reine Fiktion? Nein, gar nicht: In Zürich ist dies bereits Alltag! Kritiker werden süffisant meinen, dass den Toten zu viel Aufmerksamkeit geschenkt und daher kein Geld für Illusionisten der Morphologie ausgegeben werden sollte. Wir bringen uns dann aber um eine der wichtigsten und authetischen Erkenntnisquellen in der Medizin!

Formulierte doch Foucault so schön: Erst durch die Obduktion tritt die Krankheit vom Dunkel des Lebens in das Licht des Todes

Roland Sedivy (* 9. Mai 1963 in Wien) ist ein österreichischer Universitätsprofessor für Pathologie, Medizinrechtsexperte, Autor sowie Lebens- und Sozialberater. Sedivy war von 2007 bis 2016 Leiter der Klinischen Pathologie des Landesklinikums St. Pölten und bis 2019 stv. Chefarzt der Kantonspathologie Münsterlingen (Schweiz). Danach bis 2023 Vorstand des Instituts für Klinische Pathologie, Molekularpathologie und Mikrobiologie der Klinik Favoriten, dem früheren Kaiser Franz Josef-Spital, einem akademischen Lehrkrankenhaus der Medizinischen Universität Wien. Zeitgleich auch Vorstand des Institutes für Pathologie und Mikrobiologie der Klinik Landstraße (früher Rudolfstiftung). Außerdem war er von 2011 bis 2015 Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Klinische Pathologie und Molekularpathologie. Als Universitätsprofessor war Sedivy an der Danube Private University in Krems im Fach Allgemeine Pathologie und Oralpathologie und an der Karl Landsteiner Universität in St. Pölten für Klinische Pathologie tätig. Seit 2019 lehrt Sedivy an der Sigmund Freud PrivatUniversität in Wien und wurde 2023 auf den Lehrstuhl für Klinische Pathologie und Molekularpathologie berufen.